Helmut Schüller zum 1. Fastensonntag – „Die Fastenzeit ruft uns zur Umkehr!“

Ein Tropfen, der an einem braunen Blatt hängt und kurz vor dem Herunterfallen ist.

Die Evangelienabschnitte zu den Fastensonntagen beginnen mit der Versuchung Jesu. Ein sehr realistischer Anfang. Wir Menschen haben uns immer zu entscheiden. Das ist die Kehrseite der Freiheit. Wir haben immer eine Wahl und damit auch zwischen heilvollen und unheilvollen Möglichkeiten, heute gerne auch „Optionen“ genannt, zu unterscheiden. Die unheilvollen Möglichkeiten tarnen sich nicht selten als einfach, plausibel, naheliegend, als vermeintliche „Lösungen“. Sie sind verführerisch einfach. Wir sind versucht, sie zu wählen, ohne sie vorab geprüft zu haben, sie in ihren Konsequenzen zu durchschauen. Sie scheinen uns Probleme vom Hals zu schaffen.

Auch ganze Gesellschaften sind diesen Versuchungen ausgesetzt und müssen sich entscheiden. Einer der großen Versuchungen unserer Zeit sind wir zur Frage der Migration ausgesetzt, einer vielschichtigen, schwer zu beantwortenden und damit auch herausfordernden Frage. Dementsprechend werden auch hier einfache, plausibel klingende „Lösungen“ auf dem politischen Markt angeboten. Sie haben Zugkraft, weil sie von der Vielschichtigkeit und Verflochtenheit zu entlasten und rasch zu wirken scheinen. Sie arbeiten allerdings mit Illusionen. Da ist die Illusion, dass Menschenrechte teilbar, abstufbar wären und daher gar nicht für alle Menschen gelten müssten. Begleitmusik zu dieser Illusion ist die öffentliche Abwertung ganzer Menschengruppen. Diese Musik ist eingängig, weil sie einen selbst über andere stellt, dem Selbstwertgefühl gut zu tun scheint. Da ist auch die Illusion, die Fragen, die Migration an uns stellt, technisch in den Griff zu kriegen, – etwa durch „dichte“, streng bewachte Außengrenzen. Oder auch die Illusion, Herausforderungen der Migration mittels politischer Verträge auf andere Weltgegenden abwälzen zu können. Alles „Lösungen“, die einen Wahlkampf lang ausreichen, um zur Zustimmung zu verführen.

Die Fastenzeit ruft uns zur Umkehr, auch unsere Gesellschaft. Zur Absage an gut getarnte Versuchungen. Diese Absage verbindet uns mit den Kräften des „nahen Reiches Gottes“ für das Widersagen und Widerstehen. Die Fastenzeit ruft uns, in der Spur Jesu für menschengerechte Lösungswege – gelegen oder ungelegen – einzutreten und an ihnen mitzuwirken. „Glaubt dem Evangelium“, ermuntert uns der erste Fastensonntag angesichts eines nicht selten aussichtslos erscheinenden Auftrags.

Helmut Schüller, 16.02.24