Fluchtgeschichten

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Eingelangt Dezember 2013

Mein Vater wurde im Jahre 1919 als jüngstes von sechs Kindern in Bratislava geboren. Die Familie hatte wohl deutsche Wurzeln.

Gegen Ende des 2. Waltkrieges wurde mein Vater zur Deutschen Wehrmacht eingezogen. Er kam nach Russland bis in den Kaukasus. Nach dem Zusammenbruch der Front im Jahre 1945,  ging er „von Russland zu Fuß nach Hause“, wie er immer zu erzählen pflegte.

In Bratislava fand er seine Familie nicht mehr – sie war in der Zwischenzeit vertrieben worden. Er geriet in russische Kriegsgefangenschaft,  kam nach einem Jahr aber wieder frei, weil er sich als Tscheche ausgegeben hatte.

Alle Personaldokumente meines Vaters waren verlorengegangen. Er ging über die österreichische Grenze, meldete sich  bei der Polizei und erklärte eidesstattlich seine Identität. Eine Tante, die in Wien lebte, nahm ihn in ihre Wohnung auf. Er bekam eine Aufenthaltsbewilligung, weil er sich verpflichtete, beim Wiederaufbau als Hilfsarbeiter mitzuarbeiten Die „Verleihung der Österreichischen Staatsbürgerschaft“ und ein österreichischer Reisepass waren zeitlebens die einzigen Personaldokumente.

Im Flüchtlingslager in Hainburg fand er seine Familie wieder. Seine Eltern und der Großteil seiner Geschwister gingen von dort aus nach Deutschlang lebten bzw. leben hier. Mein Vater  ist als einziger aus seiner Familie in Wien geblieben.

Immer, wenn ich die folgende Bibelstelle höre, muß ich an meinen Vater denken:

„Mein Vater war ein heimatloser Aramäer. Er zog nach Ägypten, lebte dort als Fremder mit wenigen Leuten und wurde dort zu einem großen, mächtigen und zahlreichen Volk.“ (Dtn. 26,5)

Mein Vater war einer jener vielen Menschen, die im Krieg ihre Heimat verloren haben. Er hat darunter gelitten „a displaced person“ zu sein. Das war seine seelische Kriegsverletzung.

Doch weil er ist in seiner neuen Heimat bleiben konnte,  hat er „Fuß gefasst“ – „Wurzeln geschlagen“ – „Spuren hinterlassen“. Seine Urenkel leben in diesem Land.

„Denn ich kenne meine Pläne, die ich für euch habe“ – Spruch des Herrn – „Pläne des Heils und nicht des Unheils; denn ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben.“ (Jer 29,11)

Meinem Vater zum Andenken.

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Eingelangt Dezember 2013

XXs Vater stammt aus Poku, das im Norden Ghanas liegt an der Grenze zu Burkina Faso. Er gehörte dem Busanga-Stamm an. Seine Mutter kommt auch aus Poku, gehörte aber dem Kusasi-Stamm an. Beide Stämme sprechen verschiedene Sprachen.

Krieg als latente Gefahr

In Poku gibt es aufgrund der Landbesitzungen seit Jahrzehnten Streit zwischen  dem Kusasi-Stamm und dem Mamprusi–Stamm. Oft kommt es wegen Kleinigkeiten zu großen Auseinandersetzungen zwischen den Stämmen, es herrscht dann regelrecht Krieg mit Toten und Verletzten. Um diesen „Unannehmlichkeiten“ auszuweichen, die bis heute noch da sind, haben sich seine Eltern in der Kumasi/Ashanti-Region niedergelassen. Dort erwarben sie drei Zimmer, in denen XXs Geschwister bis heute leben.

XX ist als erstes Kind in Kumasi geboren. Es folgten noch zwei Brüder und eine Schwester, die heute acht Jahre alt ist. Die Eltern pachteten ein Stück Land bei Kintampo, das vier Stunden Autofahrt von Kumasi entfernt war. Sie nutzten das Land für den Anbau von landwirtschaftlichen Produkten und für Viehzucht. So waren die Eltern viel unterwegs und wohnten auch oft dort.

Tod auf der Straße

Betroffen erzählte mir XX, dass seine Eltern – als er gerade vierzehn Jahre alt war – einen Autounfall mit tödlichem Ausgang hatten. Unverständlicherweise hat diese traurige Nachricht XX nicht rechtzeitig erreicht und  er konnte bei der Beerdigung nicht dabei sein. Die Sorge für seine jüngeren Geschwister fiel ab diesem Zeitpunkt auf seine Schultern und da kein Geld mehr da war, musste er die Schule (Senior secondary school) abbrechen. Es gelang ihm durch Gelegenheitsarbeiten für das Weiterkommen der Familie zu sorgen.

Aufbruch in eine ungewisse Zukunft

XX hatte Kontakt zu einem Freund in Libyen, der ihn einlud zu ihm zu kommen um Geld zu verdienen. Die Reise dorthin war kein leichtes Unternehmen: auch sie kostete Geld. Durch den Verkauf persönlicher Gegenstände und die Hilfe durch Freunde konnte er mit sechs Millionen Cedis (das waren umgerechnet etwa 450 Dollar und entsprach in Ghana dem Jahreslohn eines einfachen Arbeiters) im Jahr 2009 aufbrechen: ein Lastkraftwagenfahrer, der Sperrplatten nach Niger transportierte, nahm ihn mit. Die Reise ging von Kumasi zunächst nach Burkina Faso und von dort durch den riesigen Nachbarstaat Niger.

XX, der offizielle Beifahrer

Unter der Bezeichnung „Beifahrer“  kam XX, der keine Dokumente besaß, durch alle Grenzkontrollen. Der LKW-Fahrer hatte wohl Leute in Niger darüber informiert, dass sein Begleiter Geld bei sich hat. In der Folge wurde XX ausgeraubt und dann mit anderen Einwanderern in einem Autobus nach Agadas – einem Aufenthaltslager – gebracht. Dort hatte er die Möglichkeit durch Schwerarbeit Geld für die Weiterreise zu verdienen. Sobald er den für die Weiterreise benötigten Geldbetrag erarbeitet hatte, fuhr XX mit einem Truck nach Druku. Das war eine Dreitagereise, um dann mit einem anderen Fahrzeug, einem Pickup, die Wüste, Richtung Libyen, zu durchqueren.

In der Wüste überfallen und verirrt

Diese Reise dauerte für ihn drei Wochen. Es war eine beschwerliche Fahrt unter glühender Sonne, viel Staub, Sand und unvorstellbarem Straßenzustand. Die Nächte können in der Wüste auch sehr kalt sein. Das Fahrzeug war von Passagieren überlastet und der Essensvorrat bestand aus Wasser und Gari (Cassavamehl).

Auf halben Weg wurden sie von einer mit Gewehren bewaffneten Räuberbande aus dem Tschad aufgehalten und ausgeraubt. Alle Reisenden mussten sich nackt ausziehen, wurden geschlagen, verwundet und mussten Abführmittel in Pulverform einnehmen um sicher zu sein, dass sie nichts versteckten. Auch hier wurde XX seines gesamten Geldes beraubt.

Der Fahrer brachte dann alle zu einer Wasserquelle um sich zu reinigen und die Verletzungen zu lindern. Die Reise ging schließlich weiter und es stellte sich heraus, dass der Chauffeur die Fahrrichtung nach Libyen verloren hatte. Die Irrfahrt dauerte drei Tage. Wiederum wurden sie von einer Räuberbande überfallen. In der nächsten Nacht begegneten sie Menschen, die ihnen die Richtung nach Libyen zeigten, wo sie dann nach drei Tagen in Gabha ankamen.

Verkauft wie ein Stück Vieh

XX und die Mitreisenden wurden vom Fahrer an die Leute in Libyen verkauft und in ein Lager gebracht, wo sie misshandelt wurden. Die Polizei brachte sie nach Tripolis, wo sie wiederum illegal verkauft wurden, da sie kein Geld bei sich hatten. Für diese Herren mussten sie sechs Monate Schwerarbeit leisten. Nachher bekam er einen gefälschten Pass und konnte als Maurer bei in einer Firma arbeiten. In Tripolis begegnete er auch seinem Freund, der nicht in der Lage war ihm in irgendeiner Weise behilflich zu sein.

Zu allem Überfluss: Kriegsausbruch

Im Dezember 2010 brach der Bürgerkrieg aus. Es bestand Ausgangssperre: wer sie nicht befolgte und trotzdem das Haus verließ, kehrte nicht mehr zurück. Speisen waren nicht zu haben. Alle wollten nur Geld haben.

Ein Mann in Militärkleidung kam am 10.05.2011 um 01.30 nachts zu ihm und brachte ihn im Auto zu einem Boot ans Meer. Nach einer Reise von drei Tagen ohne Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme erreichten sie Lampedusa. XX fühlte sich erschöpft und niedergeschlagen, auch weil er nicht wusste, was mit ihm geschah und noch geschehen wird.

Im Lager waren Menschen von verschiedenen Nationen und Sprachen, nach zwei Tagen wurden sie wiederum zu einem Schiff mit unbekanntem Bestimmungsort gebracht. Am 19. Mai 2011 verließ er in Genua das Schiff und wurde in einem Bus nach Bozen gebracht. Seit dem 14. November 2011 ist er im Fischerhaus in Vintl (Pustertal) in Erwartung der Aufenthaltsbewilligung.

Und nun, wie sollte es weitergehen?

XX arbeitet zur Zeit einige Stunden täglich im Haus der Solidarität. Er ist dankbar und froh für diese Möglichkeit, für das Verständnis und Einfühlungsvermögen, die sie ihm dort entgegenbringen. Er fühlt sich angenommen in seinem schweren Schicksal, er, der sich so oft zwischen Leben und Tod befunden hat.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

XX hofft sehr, eine Aufenthaltsbewilligung und Arbeit zu bekommen, damit er seinen jüngeren Geschwistern in Lebensunterhalt und Schulbildung beistehen kann. Wenn XX an seine Vergangenheit denkt, überkommt ihn eine große Traurigkeit und zugleich eine Empfehlung an seine Mitbürger in Ghana und in anderen Ländern, niemals in ihrem Leben die Heimat zu verlassen um einer solchen Ungewissheit entgegenzugehen. XX sagt:„Nur Gott hat mich gerettet!“ (2012)

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Eingelangt Dezember 2013

„Noch in Erinnerung“

Am 3.Juli 1945 vor Sonnenaufgang sperrten tschechoslowakische Soldaten die vorrangige Dorfstraße von Bruck a.d. Donau beim Ein- und Ausgang ab.

Bewohner des Dorfes, die zum Schnitt auf das Feld wollten, wurden mit Worten zurückgeschickt: „Drehts um, ihr braucht nicht mehr arbeiten, ihr werdet hinaus gschmissen“. Diese „Mär“ verbreitete sich in Windeseile.

Mein „Lieblingsonkel“ Josef, der jüngste Bruder meiner Mutter, er wohnte vier Häuser von uns entfernt kam etwas aufgeregt zu meinem Vater und sagte ihm:

„Ich fahre noch etwas weg zu den Slowaken, wo ich Slowakisch gelernt habe; ich möchte gerne euer besseres Ross mit meinem zusammen spannen, damit ich schneller vorankomme“. Mein Vater willigte ein, er nahm auch von uns etwas mit. Ich erinnere mich, dass die große Regen-Plane für unsere Dreschmaschine auch aufgeladen wurde. Woran dachte da mein Vater? Ich habe ihn später leider nicht befragt. Spontan sagte ich „ ich möchte mit Josef Onkel mitfahren“.

Dazu muss ich sagen, dass ich sehr oft mit ihm unterwegs war. Und so fuhren wir quer zur Hauptstraße über Felder in das slowakische Nachbardorf. Wir luden die Sachen schnell ab und machten uns auf den Rückweg. Wir mussten wieder die Kleine Donau mit einer Fähre überqueren, die der Josef Onkel bediente. Ich hielt die Zügel der Pferde. Am Ufer kam uns eine Frau entgegen, es war eine slowakische Händlerin. Mein Onkel erkundigte sich, was in unserem Dorf los ist. Sie fing heftig zu weinen an und sagte: „Die Brucker sind schon alle hinaus gschmissen worden.“ Mein Onkel und ich waren natürlich sehr betroffen und umso schneller versuchten wir heim zukommen.

Wir fuhren von hinten in seinen Garten.

Auf der Vorderseite war eine Holzplanke. Ich sprang gleich vom Wagen und schaute durch die Fugen hindurch auf die Straße. Was sah ich da? Mein Jokl Onkel, mein Firmpate, fuhr mit seinem Pferdewagen, begleitet von einem Soldaten; darauf seine Frau mit dem 1 jährigen Sohn. Wie ich nachher erfahren habe, war das eine Ausnahme, dass jemand einspannen durfte.

Aber da hatte ein „Aussischmeisser“ Nachsicht.

Ich rief meinem Josef Onkel zu „Den Jokl führen sie schon weg“. Ich wollte nur heim. Er: „ Bleib da“. Ich aber wartete nur ab, dass der Pferdewagen vom Joklo Onkel vorbei war, huschte hinaus und bog links ab und war schon hinten bei unseren Hausgarten. Wir hatten noch ein wenig altes Stroh, indem das neue Fahrrad meiner Mutter versteckt war. Aber das Stroh war durcheinander und das Fahrrad war natürlich weg. Ich ging weiter nach vor. Im Freien lag friedlich das Vieh, mit dem ich am Vortag noch der Weide war. Dieses Bild von dem ruhenden Vieh sehe ich heute noch vor mir… Ein Soldat entschwand gerade zum Nachbarhaus, unterm Arm einige Wäschestücke. Nun kam ich zu unserem Wohngebäude. Zu! Verschlossen! Kein Vater, keine Mutter mehr da! Sie waren bereits  „hinausgeschmissen“ worden. Zur Illustration, was das bedeutet hat: Die Bewohner hatten ja keine Koffer oder sonstige „Gefäße“ fürs Packen. Meine Eltern hatten ein Tuch mit vier Bändern („Zizeltuch“), womit sonst Heu oder anderes Futter transportiert wurde, ausgebreitet und ein paar „Armseligkeiten“ verstaut.

Dazu kam: meine Mutter war hochschwanger (sie hat am 29. Juli in Hainburg  Klara entbunden), meine Schwester war 7 Jahre und ich mit 10 Jahren hätte „ das Kraut auch nicht mehr fett“ machen können. Mit einer solchen Gegebenheit mussten sie handeln …Ich stand also vor verschlossenen Türen. Ich ging ins Nachbarhaus – auch niemand da. Ins nächste – da gab es einen Knecht, einen Slowaken. Den fragte ich. Er meinte: „die sind beim Notar“. Das war am Anfang der Ortschaft. Unser Haus befand sich in der Mitte, der Schule gegenüber. Und so machte ich mich auf den Weg, mitten auf der Straße. Siehe da! Ein Soldat fuhr vergnügt mit dem Fahrrad meiner Mutter. Ich rief ihm zwar zu „Das ist unser Rad, gib es zurück“!. Er schenkte mir keine Aufmerksamkeit, er verstand mich ja auch nicht. So ging ich enttäuscht weiter, ich hatte ständig Tränen in den Augen. Und bevor ich zum Ziel kam, sah mich ein Schulfreund meines Vaters so weinend allein auf der Straße. Er sprach mich an „Von wo kommst du daher“, und lud mich ins Haus. Ich erzählte, dass ich mit meinem Josef Onkel bei den Slowaken in Ivanka war. Seine Frau hatte inzwischen einen Teller Kaiserschmarrn hergerichtet. Aber der war so heiß, so dass ich keine Geduld aufbrchte, ihn fertig zu essen. Ich wollte nur zu  meinen Eltern. Ja die waren fast visá-vis im Hof vom Notarhaus. Schnell schlüpfte ich durch den schmalen Eingang. Es war ein aufregendes Wiedersehen. Endlich waren wir zusammen. Nach einiger Zeit machte ich mich wieder auf den Weg. Meine Mutter erklärte mir, dass in der hinteren Kammer unsere Schuhe seien. Ich soll sie holen. Die Bewacher konnten die Kinder nur schwer unter Kontrolle halten.

Mir gelang es, zu entwischen und einige Paar Schuhe zu holen.

Gegen Abend wurde gefragt, wer zu Hause Pferde habe. Mein Vater meldete sich. Ja die sollten sie mit dem entsprechenden Fuhrwerk herbeibringen Da ging ich auch mit meinem Vater mit. Zu Haus angekommen sind wir durch ein Fenster eingestiegen und hatten noch Bettzeug herausgeholt, das wir unter den Sitz versteckten.

An den beiden Sammelplätzen – der andere war bei der Kirche – wurden die Vertriebenen noch beim Durchlass „gefilzt“, d.h. Was den „Akteuren“ gefallen hatte, haben sie noch weggenommen. Als wir in Kolonne zusammengestellt waren, fuhren auf der anderen Straßenseite einige zukünftige Bewohner auf leere Leiterwägen ins Dorf.

Junge Männer sprangen herunter und kamen auf uns zu. Anscheinend wussten sie schon, welches Haus sie bekommen. Denn einer kam zu unserem Wagen, er wusste die Nummer unseres Hauses, denn er nahm meinem Vater die Zügel weg und sagte: „Die gehören jetzt mir“. Mein Vater musste den Platz räumen. Der junge Bursch hat dann die Zügel der Pferde genommen. Meine Mutter auf der Sitzbank daneben musste sich damit abfinden. Der Zug setzte sich in Bewegung und so wurden wir dann „abgeführt“ nach Preßburg durch die Nacht hindurch in eine aufgelassene Patron-Fabrik. Auf den Fußboden mit ein wenig Stroh verbrachten wir dort 3 Wochen. Das war bestimmt die schlimmste Zeit für uns. Die Männer wurden geholt, um Schutt in der Stadt wegzuräumen. Kleine Kinder starben, alte Leute hatten es besonders schwer. Die Sanitäranlagen waren einfach schrecklich . Ansteckende Krankheiten breiteten sich aus. So weit es möglich war, versuchten wir dieser Misere zu entkommen.

Ich hatte in dieser Zeit auch wieder Glück. Meinem Vater und mir gelang es das Lager zu verlassen. Ein Bruder meines Vaters hatte in ein ungarisches Nachbardorf geheiratet und war ein gut situierter Bauer. Bei ihm verbrachte ich einige Zeit und hütete zusammen mit ungarischen Buben sein Vieh. „Leider“ verständigte ich mich mit ihm auf Deutsch, so dass ich nicht viel Ungarisch lernte. Aber es war trotzdem sehr spannend. Mein Steffl Onkel lieferte auch öfters Gulasch in großen Behältern

ins Lager nach Pressburg. So zeigte er seine Verbundenheit mit seinem Geburtsort.

Die Lagerleute dankten es ihm.

Ich weiß nicht, wo mein Vater erfahren hatte, dass wir nach Österreich abgeschoben werden. Auf alle Fälle holte er mich wieder ab. Er konnte einen Freund, dem er einmal in einer Mühle geholfen hatte, sogar gewonnen, – auch wegen meiner hochschwangeren Mutter – dass er uns zur Grenze mit seinem Pferdewagen fuhr.  Ja wir kamen am 24. Juli abends an die Grenze und übernachteten im Freien. Am anderen Tag haben „sie“ uns über die Grenze geschickt.

Das war der alte Grenzübergang direkt vor Kittsee. Da hat es geheißen „Jetzt könnt ihr gehen“! Ja wir gingen. Eine Gruppe bog „links“ ab nach Pama, ein Ort, mit dem Brucker einmal Viehhandel getrieben hatten und Bekanntschaften bestanden.

Eine Gruppe ging „gerade“ nach Berg, Edelstal und „wir“ bogen nach „rechts“ und kamen nach Wolfsthal. Dort wurden uns die Stallungen des Grafen zu gewiesen.

Vieh war ja keines mehr da. Das hatten die „Deutschen“ beim Rückzug mitgenommen und den Rest holten die „Russen“. So hatten wir Platz. Aber welch ein Geruch im Sommer!? Vor Hunger aßen wir die „grünen“ Äpfel des Grafen. Mein Vater organisierte bald eine Kammer vielleicht 4×7 in einem Meierhof, zwischen Wolfsthal und Hainburg. Dort zogen mein Jokl Onkel zu dritt und wir, nachdem meine Mutter in Hainburg unsere Klara zur Welt brachte, zu fünft ein.

Leider waren wir nicht allein. Eine übergroße Schar von unzähligen Flöhen war schon vor uns da und behaupteten sich ganz einfach. Am meisten litt mein Vater. Den haben sie unheimlich gern gehabt. Meine Schwester Julie ging im September nach Hainburg in die Schule. Ich brauchte nicht, denn ich konnte ja schon lesen und schreiben. Nein – es gab einen anderen Grund – eine „Mär“: „Wir kommen wieder heim. Die werden nur alles ausrauben, aber aufbauen können wir es wieder.“

Diese Mär hat sich einige Zeit gehalten. Darum bin ich lieber mit meinem Vater mitgegangen, wenn er bei den Russen bei Viehschlachten war. Die Zubusse an übriggebliebenen Fleischstücken besserte den Speiseplan unser beider Familien auf.

Öfters sind wir in die alte Heimat mit russischen Lastwagen unterwegs gewesen (oder gingen schwarz durch die „Bätschen“ (ein Wald) Da holten wir auch Lebensmittel: Mehl, Schmalz, Milch,… Das spannendste Unternehmen war wohl – wir brauchten einen Kinderwagen für unsere kleine Klara.

Darum ging es wieder in die alte Heimat nach Preßburg auf einen russischen Laster, der Schlachtvieh geladen hatte und das meinem Vater und mir Deckung bot. So kamen wir durch die Grenze. In Preßburg gab es zum Unterschied von Österreich noch vieles zu kaufen. Wir hatten noch slowakische Kronen und so kauften wir einen neuen Kinderwagen. Zurück war es ein wenig komplizierter; ich musste den Kinderwagen auf einer „Pontonbrücke“(deutsche Soldaten hatten beim Rückzug die Brücken gesprengt) durch eine „Vorkontrolle“ über die Donau ans andere Ufer bringen; mich als Kind kontrollierte niemand. Mein Vater setzte auf einen russischen Laster über.

Dann wieder Bestechung mit Zigaretten und schon waren wir auf einen Lastwagen und wir waren durch die Grenze.Entgegenkommend führte uns der Russe bis zur Haustüre. Da mein Vater slowakisch sprach, gelang es ihm immer wieder, sich mit den russischen Soldaten zu verständigen. In Preßburg habe ich mit meinem Vater kaum gesprochen, da es sehr gefährlich war deutsch zu sprechen .Dafür konnte man eingesperrt werden.

Gegen Ende Oktober organisierten 2 Schulfreunde von meinem Vater einen Traktor, mit dem wir – 3 Familien – auf dem Anhänger die Reise nach Wien antraten. Ach wie war ich von Wien enttäuscht! Alles war zerstört durch die Kriegsereignisse: Bombenruinen, Einschüsse,…Wir fuhren die Simmeringer-Hauptstraße bis zur Rennwegkaserne und bogen rechts ab in die Schlachthausgasse 19, wo einige Baracken standen. Wir – 3 Familien- fanden gemeinsam in einem größerem Raum notdürftig Unterkunft. Bald wurde eine andere Baracke, die desolat war, zerlegt und mit den Elementen wurden Wände aufgestellt, sodass die einzelnen Familien einen abgeschlossenen Raum bekamen. Für uns Kinder war das Lagerleben sehr lustig; es gab ein großes Areal, wo wir uns treffen konnten, „verbanne dich“,“verstecken“ spielen… Es war uns nie fad, denn es war immer etwas los. Dazu kamen die vielen Möglichkeiten und Begegnungen im „Sale“- Kinder und Jugendzentrum der Salesianer Don Boscos, wo wir „Flüchtlinge“ – Kinder UND Erwachsene – mit Wohlwollen aufgenommen wurden und uns bald zu Hause fühlten.

Mit dem möchte ich schließen, denn es begann ein „normales“ Leben in Wien – ich ging nach einem Jahr (unsere Schule hatte die SS im November 44 besetzt) wieder in die 4.KlasseVolksschule.

Die Vertreibung war für viele ein Ein- und Abbruch mit vielen Verwundungen und Schmerzen und großem Leid – eine Katastrophe. Davon waren vor allem die Kleinkinder und die alten Menschen betroffen. Für mich war es wie ein Abenteuer mit vielen Erlebnissen und Eindrücken, die mein Leben prägten. Sie eröffnete mir auch einen Lebensweg, den ich zu Hause nicht gehabt hätte.

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Eingelangt Dezember 2013

Und es begab sich…

… und er zog weiter, weil in den Herbergen kein Platz für ihn war.

Ein Auszug aus der Weihnachtsgeschichte? Leider nein.

An einem Donnerstag Nachmittag , Ende Oktober, kann ein Mann in die Pfarrkanzlei und fragte, ob ich ihm helfen könne. Er sei obdachlos und bräuchte, wegen der Kälte, einen Schlafplatz in einem der Quartiere, welche für Menschen, die auf der Straße leben, zur Verfügung stehen. Er hätte schon einige Nächte in diesen Häusern verbracht, aber jetzt seien alle voll. Meine Anrufe bei den verschiedensten Institutionen bestätigten diese Aussage. Und von offizieller Seite erfuhr ich: „Wir wissen um diese Situation. Leider sind alle Häuser

voll. Aber am Montag der nächsten Woche wird ein neues Büro, eine neue Anlaufstelle eröffnet. Dort soll er sich dann möglichst schon in der Früh melden, weil da die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass er einen Platz bekommt.“ Mehr könne sie im Moment nicht für ihn tun.

Hmm, also eine Möglichkeit auf einen Platz. Und wenn’s nicht klappt? Leider konnte auch ich nicht mehr erreichen und musste ihm für die nächsten 4 Tage sich selbst überlassen. 4 Tage im Freien bei recht kaltem Wetter. Ein Umstand, der mich noch lange beschäftigte.

Die Weihnachtsgeschichte fand ein gutes Ende und wurde weltweit zur wohl größten Feier des Jahres.

Was aus dem Obdachlosen wurde? Keine Ahnung.

Lassen wir auch heuer das Fest von der Geburt Jesu zu einem Fest der (Nächsten-)Liebe und der menschlichen Wärme werden. Und stellen wir die Menschen in die Mitte, nicht die Geschenke.

In diesem Sinne wünsche auch ich Ihnen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!

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Eingelangt Februar 2014

Am 15.Januar 1945 wurden wir ausgebombt und von da an lebten wir im Keller. Am Anfang der Praterstraße war sozusagen die Hauptkampflinie, die sich dem Kai entlangzog und uns zwang, auf dem Boden liegend die Zeit zu verbringen. Nur in den Kampfpausen wurde uns gestattet, den Keller zu verlassen und in der Waschküche zu essen und das Gegenteil zu tun.

Nach dem Waffenstillstand oder Kriegsende, ich kann mich da nicht so genau erinnern, ich war 9 Jahre alt, bekamen wir bei einer Frau im Nachbarhaus ein Zimmer zur Untermiete. Ohne Gas und Strom nur für 2 Stunden, in denen meine Mutter die Erbsen und ein paar Käfer kochte. Endlich um 22 Uhr schlangen wir heißhungrig diese üble Speise hinunter, aber was tut man nicht alles aus Hunger.

Inzwischen zwangen die Besatzer, die Erwachsenen die Leichen und Leichenteile auf Schubkarren in den Augarten zu  bringen, wo sie in die Bombentrichter geleert wurden und dann die Panzer das Erdreich wieder darauf schoben. Meine Mutter ließ mich natürlich nicht allein zu Hause und so kann ich mich daran noch sehr gut erinnern

Die Brücken über den Donaukanal waren gesprengt, Die abgebrochenen Fahrbahnen hingen ins Wasser und wurden mit ein paar Planken überbrückt. Wir mussten aber hinüber, denn bei uns waren die Wasserrohre zerborsten, und wir gingen in das Haus, wo heute die Kammerspiele sind, um uns mit Wasserkannen das kostbare Nass zu holen.

Meine Lieblingspuppe war mit mir im Luftschutzkeller gewesen, und das war das einzige, was meine Mutter zum Verhamstern hatte, für ein Kilo Mehl und zwei Eier.

Im September war es dann soweit, vor Hunger konnten wir kaum mehr schlafen, und so entschloss sich meine Mutter, mit mir in die Oststeiermark zu flüchten.

Der erste Tag war noch halbwegs gut, bis Wiener Neustadt ging ein Zug, dann war es aus. Am späten Nachmittag standen wir zwischen Glasscherben und Russen auf dem Bahnhof. Ein Engel in Gestalt einer lieben Frau nahm uns mit und brachte uns zu ihrer Freundin, der Apothekerin und wir durften im Geschäftslokal übernachten.

Am nächsten Tag nahm uns eine Fuhrwerk bis Aspang mit und dann ging es bergauf, zu Fuß natürlich. Bei einem Bahnwärterhäuschen stand eine Frau mit drei Kindern und erbarmte sich meiner und schenkte mir ein Häferl Milch. Inzwischen zogen Gewitter auf und ich musste mich in mein rotes Regencape hüllen, für illegalen Grenzübertritt nicht gerade die richtige Garderobe. Daher war es nicht verwunderlich, dass uns ein plötzliches STOJ zur Salzsäule erstarren ließ. Zwei Russen kontrollierten Mamas Rucksack auf Waffen, ließen uns aber weiter gehen. Bei einem Wolkenbruch erreichten wir am Hochwechsel einen Bauernhof, wo meine Mutter fragte, ob wir im Heustadel übernachten dürften. Die Hunde wurden auf uns losgelassen und wir gaben natürlich Fersengeld. Um ca. 22 Uhr waren wir endlich in Friedberg und im Kaufhaus Muhr bekamen wir etwas zu essen und ein Bett, das uns die Lehrlinge gutherzig überließen. Nach dem Frühstück bekamen wir den Rat, bei der englischen Kommandantur nachzufragen, ob uns ein Militärfahrzeug bis Hartberg mitnehmen würde. Der diensthabende Offizier hatte für uns nichts übrig, und wollte uns sofort wieder nach Niederösterreich abschieben, ließ es dann aber sein, nachdem sich meine Mutter vor ihm auf die Knie geworfen hatte.

So ging es nun zu Fuß weiter, bis in die Nähe von Hartberg. Dort durften wir in einer Kammer eines Bauernhofes das Bett benützen. Nach Begutachtung des Bettzeugs, das nur so von Wanzen wimmelte, schliefen wir auf dem Boden und waren trotzdem am nächsten Tag wieder fit, weiter zu marschieren. Am frühen Nachmittag erreichten wir den Heimatort meiner Mutter und mieteten ein möbiliertes Zimmer. Die dritte Klasse absolvierte ich in dieser zweiklassigen Volksschule, für mich eine Zeit der Freiheit und der Läuse. Aber es gab Essen in Hülle und Fülle. Am ersten Sonntag verschlang ich fünf Kalbsschnitzel und wurde nicht krank, Keine Bomben, viel zu essen und viel Freiheit, denn meine Mutter ging zu den Bauern aufs Feld arbeiten, um Essen zu bekommen und um die Essensmarken zu sparen.

Im Juni bekam meine Mutter wieder eine Wohnung in Wien und es ging zurück, mit der Bahn natürlich, sechs Stunden für den Rückweg, dreieinhalb Tage für den Hinweg. Aber wie schon Frank Sinatra sang …That’s life…..M.  P., Jahrgang 1936