„Man muss eigentlich nur ein wenig sein Herz öffnen“
Vom 17-18.04.23 und konnten wir, Petar Rosandic (Sos-Balkanroute) und Roswitha Feige (Pfarrnetzwerk Asyl) in Rijeka ein Projekt des Erzbistums besuchen, bei dem Flüchtlinge auf ihrem Weg durch Kroatien ein Stück Gastfreundschaft entgegengebracht wird: Zwei kleine Container, in einem befindet sich ein Spendenlager und die Essensausgabe, der andere ist Wasch- und Duschraum, eine kleine provisorische Hütte für medizinische Erstversorgung und ein Zelt des Roten Kreuzes, in dem bis zu 35 Personen übernachten können, all dies befindet sich seit 6 Monaten auf einem kleinen Platz am Bahnhof von Rijeka.
Dieses Projekt ist einzigartig in Kroatien und ermöglich durch viele Freiwillige und die Unterstützung der diözesanen Caritas, JRS, dem Erzbistum und der Stadt Rijeka, dass Flüchtlinge drei Mal am Tag eine Mahlzeit bekommen (gekocht vom Priesterseminar in Rijeka) und zur Ruhe kommen können. Ein offenes Ohr und ein herzliches Willkommen ohne Fragen zu stellen, sondern einfach da sein, den anderen Mensch sein lassen, das wird hier gelebt.
Nach dem Mittagessen bei Erzbischof Mate Uzeínic konnten wir diese kleine Interview führen und aus seinem Munde hören, warum ihm dieses Projekt so am Herzen liegt..
Herr Erzbischof, was ist ihre Motivation sich so stark für Geflüchtete zu engagieren?
Wir müssen die Menschen, die zu uns kommen, als Menschen erkennen, ihre Bedürfnisse wahrnehmen und auch als Menschen reagieren. Ich glaube, es braucht auch eigentlich keine größere Inspiration dafür. Aber natürlich: Für uns Christen ist Jesus Christus derjenige, der uns zeigt auf welche Art und Weise man Mensch sein kann. Jesus sagte bereits, dass wir Gott in denen erkennen werden, die bedürftig sind – und da gehörten Migranten und Geflüchtete auch dazu. Wenn wir mit Liebe und Sorge denjenigen Menschen begegnen, zeigen wir nicht nur wie wir sind, sondern wie der Herr ist. Wenn wir zu den Menschen brüderlich agieren, dann zeigen wir das Jesus Christus, den wir predigen, auch ihr und unser Bruder ist.
In Rijeka haben sich starke Hilfsstrukturen etabliert, die in Kroatien einzigartig sind. Warum ist das hier anders abgelaufen als anderswo in Kroatien?
Rijeka sieht sich selbst in ihrem Selbstverständnis seit langer Zeit als eine Stadt der Offenheit, des Dialogs und der Zusammenarbeit. Als wir 2020 europäische Kulturhauptstadt waren, haben wir uns selbst auch als „Hafen der Diversität“ bezeichnet. Und als wir vor einigen Monaten der Tatsache ins Auge schauen mussten, dass eine große Anzahl an Menschen durch unsere Stadt geht, mussten wir das auch unter Beweis stellen, was wir selbst zuvor gepredigt haben.
Zuerst haben sich eigeninitiativ ehrenamtliche Helfer:innen zusammengetan, die nicht weggeschaut haben und sich entschieden haben, zu helfen. Sie haben dann im Zuge dessen auch uns alarmiert – auch die Kirche als Institution. Wir haben dann gemeinsam darüber nachgedacht, was wir tun können und sind in Folge in Dialog mit der Stadt, mit der Polizei und mit allen anderen Akteur:innen getreten, angefangen vom Jesuit Refugee Service (JRS) bis zum Roten Kreuz der Stadt. Die größte Arbeit haben weiterhin die Volunteers erledigt, aber wir haben geschaut, dass wir Ihnen einen institutionellen Rahmen geben und dafür die Weichen stellen, dass die Stadt Rijeka mit dem Gesicht der Menschlichkeit gegenüber den Geflüchteten auftritt.
Wir müssen den Volunteers dankbar sein, die sich aus verschiedenen Lebensrealitäten, mit verschiedenen Glaubensbekenntnissen, vereint haben. Niemand hat in Wirklichkeit unter Ihnen geschaut, von wo jemand kommt, sondern alle haben sich vereint als Menschen, die anderen Menschen helfen wollen. Das vereint uns schlußendlich alle. Auf der anderen Seite war es die Stadt, die all ihre Möglichkeit im entscheidenden Moment zu Verfügung stellte, genauso wie wir aus der Erzdiözese. Die Stadt kam an ihre Grenzen und die Mittel der Stadt dafür sind mittlerweile aufgebraucht. Wir, das Rote Kreuz und die Caritas setzen unsere Arbeit für die Geflüchteten fort. Das Jesuit Refugee Service (JRS) ist ebenso da, sowohl mit Präsenz als auch mit Ratschlägen als eine Organisation, die nicht nur in Kroatien, sondern in der ganzen Region tätig ist.
Eigentlich musste man nur ein wenig sein Herz öffnen und in diesem Herzen ein bisschen Platz für jemand anderen finden.
Vorher, beim gemeinsamen Mittagessen, erwähnten sie, dass die Frage der Geflüchteten zugleich die Frage des Erhalts des Christentums in Europa ist. Wie meinen sie das genau?
Ich höre oft, dass Geflüchtete als Bedrohung für ein christliches Europa dargestellt werden. In Wirklichkeit ist es aber so, dass wir, wenn wir unsere Herzen und unsere Türen verschließen, wenn wir nicht-christlich agieren, selbst das Christentum in Europa bedrohen bzw. was vom Christentum noch in Europa übrig ist. Als Christen glauben wir ja daran, dass Jesus an unsere Türe klopft, wenn Menschen in Not, unsere Brüder, an unsere Türe klopfen. Wenn dieses Bewusstsein nicht mehr da ist, dann ist das Christentum in Europa schon tot.
Viele Kroaten sind vor Generationen schon nach Österreich emigriert und es gibt eine große kroatische Gemeinde. Haben sie eine Botschaft für diese?
Was unsere Missionen im Ausland angeht, ist es vor allem für diese wichtig sich daran zu erinnern, dass sie einst selbst Migranten waren. Und das sie damals in Österreich auf Gastfreundlichkeit gestoßen sind, weil jemand sein Herz geöffnet hat, ihnen die Chance gegeben hat, als wir selbst einst bedürftig waren und uns nach einem besseren Leben gesehnt haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir selbst in einer solchen Situation waren. Und das diejenigen, die heute zu uns kommen, genauso bedürftig sind wie wir es waren. Hier funktioniert dann auch die goldene Regel: Alles, was du dir von anderen Menschen wünscht, tu selber gegenüber Ihnen. Und all das, was du dir nicht wünscht, tu anderen selbst nicht an. Wenn wir damals auf offene Herzen und Ohren gestoßen sind, sollten wir denjenigen, die heute zu uns kommen aus den gleichen Motiven, die gleiche Gelegenheit geben. Sie suchen ein besseres Leben. Nichts anderes.
Aus dem Kroatischen übersetzt von Petar Rosandic (SOS Balkanroute)
Fotos: © Murtaza Elham